Manchmal macht man alles richtig und verliert trotzdem.
Manchmal bleibt uns nur dem Tod mit Würde zu begegnen und die Hoffnung, dass es den Angehörigen ein Trost ist, dass alle ihr Möglichstes getan haben.
Das habe ich früher als Ausbilder gesagt. Auch zu Melli, Oli, Razija und Frieder, als wir im Sommer vor 2 Jahren die Helfer-vor-Ort-Gruppe gründeten.
Dazu braucht man als Helfer aber auch Abstand. Dazu braucht man seine Freunde, seine Familie, seine Kameraden.
Für einen selbst geht das Leben nach einem Einsatz weiter. Man kommt wieder heim. Man wirft einen Blick durch den Türschlitz auf die schlafenden Kinder, streichelt die Katze, die anscheinend viel mehr von Leben und Tod versteht, schlüpft wieder ins Bett, ins Warme, ins Leben. In der Hoffnung, doch geholfen zu haben.
Ich habe damals auch gesagt, die einzige Anerkennung, die die vier je für ihren Einsatz erhalten würden, bekämen sie jetzt und hier von mir. Aber helfen, sich engagieren, ist der einzige Weg wirklich glücklich leben zu können.
Und dem Oli war der Wunsch zu helfen tief eingebrannt. Sehen, verstehen, handeln war für ihn nicht nur die Grundlage der Ersten Hilfe. Oli war genau so.
Hat sich dem angenommen, was ihm ins Auge gefallen ist: erst der Familie und den Freunden. Und als sich sein Blickfeld durchs Rote Kreuz erweiterte, auch noch seinen Kameradinnen, seinen Kameraden, seinen Schutzbefohlenen.
Dabei sind ihm die notwendigen Fähigkeiten nicht in den Schoß gefallen. Er hat schwer für seine Ausbildung und Qualifikation gearbeitet, hat buchstäblich mit dem Handbuch unterm Kopfkissen geschlafen. Er ist nicht als Führungskraft zur Welt gekommen. Er hat dafür hart an sich selbst gearbeitet.
Dabei war immer seine größte Angst, einen von euch – insbesondere mich - zu enttäuschen.
Er konnte vielleicht nicht die Grundsätze des Roten Kreuzes aufsagen, aber hat sie auf jeden Fall gelebt.
- Gleich nach der Maurerlehre Zivi beim Roten Kreuz, 94 bis Ende 95.
- Geheiratet, mit Melli den Basti bekommen
- 2014 nach massiven Drängen seiner Freunde ins Rote Kreuz eingetreten
- Zwei Monate später gleich der erste größere Einsatz. Nachts. Minus 18 Grad. Autobahn. Spätestens da waren für ihn die Weichen gestellt.
- Sommer 2015 haben wir zusammen einen Rollstuhlbus geklaut und in Tübingen 2 Behindertenwohnheime evakuiert
- Im Herbst dann die BEA Ergenzingen – bedarfsorientierte Erstaufnahmeeinrichtung. Wer Zweifel an der Aufnahme von Flüchtlingen hat, hätte einfach dabei sein sollen.
- zahllose Dienste. Hier in Neustetten und Obernau. Bei seiner erweiterten Familie, den Ergenzingern. In Rottenburg, Tübingen, Stuttgart. Oft gemeinsam mit seiner Melli.
- Mittlerweile war der Basti im Jugendrotkreuz
- Dann Corona, monatelang unterwegs mit den Mobilen Impfteams, Tester hier in Neustetten.
- Immer wieder Dienste, Fortbildungen, Übungen, Einsätze und dann noch die eigentliche Arbeit in der Bereitschaft.
So fliehen ein paar Jahre einfach dahin.
Als Bereitschaftsleiter haben wir uns nicht nur ergänzt – er hat mich immer wieder auf das Wesentliche ausgerichtet.
Ich der Theoretiker – er der Macher.
Ich der Zyniker – er der Optimist.
Und was er für ein Optimist war.
Er hat immer etwas Positives aus einer Situation holen können. Hat sich immer für seine Leute, seine Kameraden eingesetzt.
Gestrahlt. Gegrinst. Gelacht.
Immer motiviert. Begeisterungsfähig. Zufrieden.
Optimistisch bis zum letzten Tag.
Er hat immer sein Bestes gegeben – und dementsprechend war er sicher, alle anderen machen es genauso.
Die letzten Jahre war er nicht nur mein Stellvertreter, er war der, der den Betrieb vom Hintergrund aus am Laufen hielt. Die vielen kleinen Dinge erledigte, ohne die es halt nicht geht. Schnittstelle und Ansprechpartner war er.
Ich habe Jahre gebraucht, zu akzeptieren, dass ich den Oli nicht ausnutze. Denn richtig glücklich war er, wenn er helfen konnte.
Und glücklich war er vor allem mit seiner Familie.
Und stolz.
- Stolz auf seine Melli, die nochmal die Schulbank gedrückt hat. Da hat er mitgelitten und mitgekämpft.
- So stolz auf seinen Basti. Bei schlechten Noten hieß es dann nicht „er macht zu wenig für die Schule“,
sondern „die Theorie liegt ihm halt nicht“. Typisch Oli, immer der positive Blickwinkel. - Immer im Vertrauen aufeinander, ineinander
Man kann einen Menschen eine Ewigkeit kennen und entdeckt doch immer wieder neue Facetten. Und bei manchen entdeckt man das wesentliche bereits in der ersten Stunde. Oder eben beim ersten Einsatz.
Oli hatte immer einen Wunsch: das richtige tun.
Und das hat er.
Die Familie Timmler hat von Anfang an zugelassen, dass wir mit Teil haben dürfen, helfen dürfen – ob beim Reifenwechsel, Gartenpflege oder Klinikaufenthalten.
Und jetzt dürfen wir gemeinsam um Oli trauern.
Von Oli Abschied nehmen.
Reden hilft. Eine Umarmung, eine geteilte Erinnerung hilft.
Sogar eine virtuelle Kerze im Internet spendet Wärme.
Letztlich: Helfen hilft.
Mit offenen Augen, offenem Herz und offenen Händen.